Parteien haben Akzeptanzproblem

Matthias Höhn
Presse

LINKEN-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn über die Lehren aus der Landtagswahl. Interview in der »Volksstimme«. Die Fragen stellten Michael Bock und Christopher Kissmann.

LINKEN-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn über die Lehren aus der Landtagswahl. Interview in der »Volksstimme«. Die Fragen stellten Michael Bock und Christopher Kissmann.

Volksstimme: Die Linke hat bei der Landtagswahl im März nur 16,3 Prozent der Stimmen geholt. Bei der Bundestagswahl 2013 waren es noch knapp 24 Prozent gewesen – Sie haben in drei Jahren 100.000 Wähler verloren. Was hat die Linke falsch gemacht?

Matthias Höhn: Man muss genau schauen, welche Wahlergebnisse man miteinander vergleicht. Bundestagswahlen haben einen anderen Charakter und eine andere Mobilisierung.

Auch im Vergleich zur Landtagswahl 2011 hat Ihre Partei 50.000 Stimmen verloren.

Das ist richtig. Aber ich glaube, dass wir durchaus die richtigen landespolitischen Forderungen gestellt haben. Die Flüchtlingsproblematik hat allerdings alles überlagert. Für viele Menschen war die Frage entscheidend: Sollen die Flüchtlinge nach Deutschland kommen oder nicht? Wir als Linke haben eine sehr klare Position bezogen und Haltung gezeigt. Dies mag uns Stimmen gekostet haben, für uns ist dies aber eine Frage der Identität. Mit diesem drastischen Verlust hat aber niemand gerechnet.

Welche Konsequenzen ziehen Sie?

Es ist notwendig, dass die Partei bundesweit diskutiert, wie man mit der Situation nach den drei verlorenen Landtagswahlen im März umgeht. Die Kräfteverhältnisse rutschen seit einigen Jahren immer weiter ins Mitte-Rechts-Lager, das Mitte-Links-Lager wird kleiner. Das stellt nicht nur uns vor Herausforderungen. Ich sehe auch ein zunehmendes Akzeptanzproblem der etablierten demokratischen Parteien insgesamt. Ein Großteil der Leute hat das Gefühl, dass sie „raus“ sind, dass diese Politik mit ihnen nichts zu tun hat. Die Antwort darauf kann aber nicht sein, der antidemokratischen Protesthaltung, wie sie die AfD im Moment befeuert, hinterherzulaufen.

Ein Teil Ihrer Wähler ist zur AfD abgewandert. Wie wollen Sie diese zurückgewinnen?

Das ist nicht meine erste Frage. Zu meinen, wir holen alle diese Wähler zurück, hätte die Botschaft: Was bieten wir ihnen an, damit sie ihr Kreuz nicht bei der AfD, sondern bei uns machen? Was sollte das für die Linke sein? Es gibt schon genug Parteien, die der AfD hinterherrennen. Schauen Sie sich die Verschärfungen des Asylrechts oder die Abschottung an. Aus Sicht ihrer Wähler erfüllt die AfD gerade ihren Zweck: Sie treibt Politik in eine bestimmte Richtung. Wenn schon alle anderen Parteien nachgeben – wir nicht!

Wie wird die Auseinandersetzung mit der AfD im Parlament aussehen?

Zunächst sind wir Opposition gegenüber der sich neu bildenden Koalition. Wir werden genau schauen, ob die Landesregierung ihre Versprechen umsetzt und da wo nötig Gegenkonzepte vorlegen. Wir werden aber auch der AfD die Stirn bieten, wenn sie rechtspopulistische, völkische und sozialchauvinistische Parolen absendet. Das werden Debatten, die den Landtag kulturell vor eine Herausforderung stellen.

Welche Erwartungen haben Sie an die mögliche Koalition aus CDU, SPD und Grünen?

Die spannende Frage ist ja zunächst, ob diese Koalition auch eine reale Mehrheit für ihren Koalitionsvertrag hat und nicht nur auf dem Papier. Die Wahlen des Landtagspräsidiums lassen anderes vermuten, ohne unsere Stimmen gäbe es keinen Landtagspräsidenten der CDU. Kenia stand ohne Mehrheit da. Inhaltlich sehe ich eine Reihe von Kurskorrekturen: Mehr Lehrer, mehr Polizisten, mehr Geld für die Kommunen – da haben wir uns in den vergangenen Jahren den Mund fusselig geredet. Nun scheint es sich in die Richtung zu bewegen, für die wir immer gekämpft haben.

2017 steht die nächste Wahl an. Sie sind Bundeswahlkampfleiter der Linken. Auf welche Themen und Köpfe setzen Sie?

Für die Frage der Spitzenkandidatur haben wir noch Zeit. In drei Dingen werden wir verlässlich bleiben: Solidarität und soziale Gerechtigkeit bleiben der Kern unserer Politik. Wir stehen für Demokratie und Weltoffenheit – andere geben lieber dem Druck von Rechts nach. Drittens bleibe ich dabei, dass wir in der Bundesrepublik einen Politikwechsel brauchen. Es ist im Moment schwer zu sagen, ob wir dafür ausreichend Partner finden. Die SPD ist in einer schwierigen Situation. Aber es muss in den nächsten Monaten eine Debatte darüber geben, welche gesellschaftlichen Bündnisse es geben kann, um Mitte-Links wieder mehrheitsfähig zu machen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD mit ihrem Stand zufrieden ist. Das wäre eine Form von Selbstaufgabe.

Aber müsste sich dafür nicht auch die Linke bewegen, zum Beispiel bei der ablehnenden Haltung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr?

Alle Parteien haben ein gutes Recht darauf, mit eigenständigen Positionen unterwegs zu sein. Welchen gesellschaftlichen Zweck soll es erfüllen, wenn auch noch die letzte Bundestagspartei sagt, Auslands-einsätze der Bundeswehr sind gut? Wir hatten für unser Nein stets gute Gründe. Es gibt große Probleme zu lösen: Altersarmut, Langzeiterwerbslose ohne Perspektive, Steuergerechtigkeit – ich bin fest überzeugt, dass es im sozialdemokratischen Milieu breite Teile gibt, mit denen wir uns darüber verständigen könnten. Und das soll man nicht gemeinsam anpacken, weil man bei Bundeswehreinsätzen nicht einer Meinung ist? Das muss mir mal jemand erklären.

Was erwarten Sie von SPD-Chef Sigmar Gabriel?

Nichts.

Zurück zu Ihrer Partei. Gregor Gysi hat sich als Chef der Bundestagsfraktion zurückgezogen. Sind seine Fußstapfen für Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch zu groß?

Ich glaube, dass die Entscheidung für ihn und die Partei richtig war. Wir sind jetzt in einer neuen Konstellation. Wir haben den Übergang reibungslos hinbekommen.

Ganz so geräuschlos ist es nicht verlaufen. Vor zwei Wochen hat Gysi in einem Brief an die neue Fraktionsspitze gefordert, dass seine neue Rolle immer noch nicht definiert sei. Er fordert, dass ihm wichtige Aufgaben – wie die Zuständigkeit für Europa – übertragen werden. Ein Gysi in der zweiten Reihe: Geht das auf Dauer gut?

Es wird sicher eine Verständigung mit ihm darüber geben, wie seine Rolle aussehen kann. Niemand will auf die politische Persönlichkeit Gregor Gysi verzichten. Seine öffentliche Rolle hat er immer noch und die wird er auch weiter ausfüllen. Ich hoffe, dass Gregor Gysi auch im Bundestagswahlkampf für uns sichtbar unterwegs sein wird.

Zum Interview (extern).